Das Gebiet der Neurologie ist ein sehr spannendes Fach in der Medizin. Es befasst sich mit dem übergeordneten Steuerungs- und Integrationsorgan des menschlichen Organismus: dem Nervensystem. Die Diagnose neurologischer Erkrankungen erfordert Detektivarbeit und viel Erfahrung mit den Störungen des Nervensystems. Da bei neurologischen und seelischen Erkrankungen ähnliche Symptome auftreten können, und viele neurologische Beschwerden durch seelische Faktoren verstärkt werden können, bzw. das Leiden an neurologischen Erkrankungen oft eine starke seelische Belastung darstellt, ist eine Vorgehensweise, die Leib und Seele als eine Einheit versteht, sehr hilfreich. Das Fachgebiet der Neurologie hat daher auch einige Berührungspunkte mit der Psychosomatik und der Psychiatrie. In einem Punkt zeigt sich in der Neurologie ähnlich wie in der Allgemeinmedizin das klassische Wesen der Medizin besonders deutlich: das Gespräch mit dem Patienten und die eingehende körperliche Untersuchung stehen im Zentrum der ärztlichen Tätigkeit; der Patient ist die Richtschnur für alle Ansätze in Diagnostik und Therapie.
Die klinische Methode
Der geschulte Neurologe entwickelt seinen Zugang zu dem Problem des Patienten anhand der genauen Schilderung der Krankheitsgeschichte (Anamnese), dem Erkennen der richtungsweisenden Symptome des Patienten, dem Erfassen der Auffälligkeiten in der körperlichen Untersuchung und der Bewertung der Abweichungen in den technischen Untersuchungen. Folgende Aspekte spielen in der Neurologie häufig eine große Rolle:
* Wie haben sich die Beschwerden entwickelt: plötzlich, sehr rasch, innerhalb kurzer Zeit oder eher schleichend?
* Passt die vom Arzt vermutete Erkrankung zu Alter, Geschlecht, Lebensumständen, Vorerkrankungen und ggf. bereits eingenommenen Medikamenten des Patienten?
* Können die Auffälligkeiten in der körperlichen Untersuchung die Annahmen des Arztes bestätigen?
* Ist das Ergebnis z.B. der Computertomographie, Kernspintomographie, Nervenmessung oder Ultraschalluntersuchung typisch für das vermutete Krankheitsbild?
Mit diesen Erwägungen hat der neurologisch tätige Arzt die Daten gewonnen, die er zur Eingrenzung des Problems seines Patienten benötigt. Würde sich der Arzt nur auf die Ergebnisse von Apparateuntersuchungen verlassen, könnte er zu falschen Schlussfolgerungen verleitet werden. Nun wird er anstreben, die Beschwerden auf die genaue anatomische Struktur oder die physiologische Funktion zu beziehen, die gestört ist. Damit grenzt er den Ort und die Art der Erkrankung ein. Unter Umständen wird er dazu nochmals ergänzende Tests durchführen.
Schließlich wird der Neurologe seine Überlegungen in eine Diagnose einfließen lassen, in der die betroffenen Anteile des Nervensystems und der Krankheitsprozess präzise benannt werden oder das Problem des Patienten mit einem bekannten Syndrom benannt wird, wie etwa dem Morbus Parkinson.
Zusammenfassend sieht das Vorgehen des neurologischen Arztes also so aus:
* Erhebung der Krankheitsgeschichte
* Körperliche Untersuchung
* Wenn nötig technische Untersuchungen
* Umformung der Befunde in neurologische Begriffe (z. B. Lähmung des Gesichtsnerven, Beinlähmung, erhöhter Hirndruck, Schlaganfall, usw.)
* Genaue Bezeichnung des Krankheitsorts und der Krankheitsart (z. B. Querschnittslähmung auf Höhe des siebten Brustwirbels)
* Klärung der Krankheitsverursachung (z. B. Geschwulst im Wirbelkanal, die auf das Rückenmark drückt)
* Festlegung der Therapie (z. B. Operation zur Beseitigung der Geschwulst)
Anders gesprochen muss der Neurologe durch alle seine Maßnahmen schließlich die folgenden Fragen (6 Ws) beantworten können:
* Wie kam es zur Erkrankung? (Anamnese)
* Was stellt man fest? (Befund)
* Wo sitzt die Läsion, die solche Symptome bewirken kann? (topische Diagnose)
* Warum erkrankt der Patient? (ätiologische Diagnose)
* Wohin führt der Krankheitsprozess? (Prognose)
* Womit behandelt man? (Therapie)